Gastbeitrag in Günter Bächles Weblog
Wie viel ist Natur wert? Der Fall der Alten Ziegelei in Mühlacker zeigt, dass eine naturschutz- und planungsrechtliche Einschätzung des Naturwertes nicht trivial ist. Aktuell gilt: Unter der Annahme, dass ein Eingriff in den Naturhaushalt ausgeglichen werden kann, sind Eingriffe unter Umständen genehmigungsfähig. Die Bewertung liegt in der Bauleitplanung im Ermessensspielraum von Gemeinderat und Verwaltung, zunehmend auch bei den Gerichten.
Eingriffshierarchie und Wert der Natur
Am Anfang der Eingriffshierarchie steht immer das Gebot der Vermeidung und Minimierung. Erst dann folgt das Ausgleichsgebot (Kompensation). Ein Ausgleich muss im räumlichen und funktionalen Zusammenhang zum Eingriff stehen. Die letzte Möglichkeit stellen Ersatzmaßnahmen dar, die nicht im räumlichen und funktionalen Zusammenhang stehen, aber qualitativ gleichwertig sein müssen. Ein großes Problem stellt dabei die Bewertung dar. Was ist die Natur wert, die wir zerstören? Was für Arten kommen vor? Wie wirkt sich der Verlust auf die Gebiete drum herum aus? Und wie bewerten wir den sogenannten Time-lag? Beispielsweise können gewachsene Strukturen und alte Bäume nicht in wenigen Jahren und Jahrzehnten (Time-lag) kompensiert werden.
Eingriff und Ausgleich
Für Ausgleich und Ersatz gilt: Die Maßnahme muss so lange bestehen bleiben, wie der Eingriff besteht. Für viele Wohn-, Gewerbe- und Infrastrukturmaßnahmen bedeutet das, dass die Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen de facto für immer fortgeführt werden müssen und nicht vergessen werden dürfen. Ein Blick auf vorhandene Kompensationsmaßnahmen zeigt, dass die Planungsverantwortlichen und auch die zuständigen Naturschutzbehörden die Maßnahmen oft auf maximal 20 bis 30 Jahre befristet. Das widerspricht in vielen Fällen dem Erlass des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz vom 5. Oktober 2011 „Dauerhaftigkeit und rechtliche Sicherung von Kompensationsmaßnahmen“. (Link) Darin steht: „Bei der Herstellung von Biotopen, die der Unterhaltungspflege bedürfen, ist die Dauer des Eingriffs von Bedeutung. […] Bei einem dauerhaften Eingriff in Naturhaushalt und Landschaftsbild – hierzu sind beispielsweise bauliche Anlagen oder Verkehrswege zu zählen – hat demgegenüber eine für die Kompensationsmaßnahme erforderliche Unterhaltungspflege auch dauerhaft zu erfolgen.“ Oft werden Maßnahmen nicht ordnungsgemäß überprüft und umgesetzt oder sogar vergessen. Ein großes Problem ist, dass die meisten Maßnahmen in der Praxis nicht überprüfbar sind, weil sie nicht in ein öffentlich zugängliches Register eingetragen werden. Im Fall der Alten Ziegelei wurde zum Beispiel übersehen, dass es sich bei der Hecke um eine Ersatzmaßnahme handelte. Kein Einzelfall in der Region Nordschwarzwald.
Planetare Grenzen und Flächenverbrauch
Rund 30 internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben 2009 eine Studie zu 9 zentralen planetaren Belastbarkeitsgrenzen veröffentlicht. (Link) Die Studie wurde immer wieder überarbeitet. In einem Ampelsystem wird dargestellt, ob wir uns als Menschheit in einem sicheren (grünen) Rahmen bewegen, einem erhöhten (orange), oder einem hohen (rot) Risiko ausgesetzt sind. Mit Blick auf die Artenvielfalt befinden wir uns im bereits im roten Bereich. Es besteht ein hohes Risiko gravierender Folgen. Das sollte uns Angst machen. Ein zentrales Problem stellen Flächenverluste und -versiegelungen dar, weil sie direkt zu einer Verschlechterung der Lebensräume führen, den Wasserhaushalt negativ beeinflussen und den Erhitzungstrend beschleunigen. Im Enzkreis zeigt sich das zum Beispiel am Einbruch der Amphibienpopulation in den letzten Jahren.
Naturschutzfachliche Schlussfolgerung
Es wird immer deutlicher, dass die Planungspraxis nicht funktioniert. Der eigentliche Zweck, die Natur zu erhalten, wird nicht erreicht. Der Natur- und Artenschutz wird durch Ausnahmen und Befreiungen umgangen. Ausnahmeentscheidungen sind zur Regel geworden und nicht mehr auf unvermeidbare Einzelfälle beschränkt. In Summe wird damit ein Flächenverbrauch an den kommunalen Rändern gestärkt und der Anreiz, auf bereits versiegelte Flächen zurückzugreifen geschwächt.
Als Umwelt- und Naturschutzverband fordern wir schon lange, dass Arten-, Klima- und Flächenschutzgesetze ihren Schutzzweck auch erfüllen. Mit Blick auf die Biodiversität geht es darum, dass das weitere Artensterben gestoppt wird und wir beispielsweise 30 Prozent unserer Flächen unter Schutz stellen. Beim Klimaschutz darf kein Eingriff – Negativbeispiel sind die Straßenbaupläne von Verkehrsminister Wissing – gegen das 1,5 Grad Ziel von Paris stehen. Beim Wasser geht es darum, „die natürlichen Wasserreserven Deutschlands zu sichern“ über eine nationale Wasserstrategie (Link) zu sichern. Beim Flächenverbrauch gilt das im Koalitionsvertrag verbriefte Netto-Null-Ziel. Im Volksantrag Ländle-leben-lassen (Link) setzten sich viele Verbände genau dafür ein.
Übergeordnetes Ziel ist, dass wir uns einen ökologisch nachhaltigen Rahmen schaffen, in dem wir uns als Gesellschaft entwickeln können. Es ist Aufgabe der Bundes- und Landesregierung für juristische Klarheit zu sorgen. Die Naturschutzverwaltungen brauchen die personellen Ausstattungen und eine formale Aufwertung in Abwägungsprozessen. Außerdem müssen veraltete Flächenplanungen neu bewertet und kommunale Planungsgewohnheiten angepasst werden.
Symptomatisches Beispiel: Die Alte Ziegelei
Im Fall der Alten Ziegelei ging es zum Schluss unter anderem um den sehr streng geschützten Kammmolch (als Referenzart für andere streng geschützte Arten), um die Feldhecke, die direkt an sein Laichgewässer angrenzt, um die Untersuchungspraxis und die naturschutzfachliche Bewertung. Der Kammmolch ist nach Anhang II FFH-Richtlinie und Anhang IV FFH-Richtlinie (BfN) geschützt und wandert in der Regel bis zu 500 Meter. Neben dem direkten Tötungsverbot dürfen auch seine Lebensstätten nicht beschädigt oder zerstört werden. Als Naturschützerinnen und Naturschützer müssen wir sehr deutlich kritisieren, dass zentrale Punkte lange nicht transparent dargestellt, oder sogar nicht beachtet wurden:
- Es war nicht klar, wie und ob das Umweltbüro die Heckenstruktur auf den Kammmolch untersucht hatte. Schwammige Aussagen verhinderten lange Zeit eine belastbare naturschutzfachliche Bewertung. Von Verwaltungs- und Naturschutzseite wird immer wieder eine Zertifizierung vorgeschlagen.
- Die Hecke wurde lange Zeit nicht als formal geschütztes Biotop betrachtet: Naturschutzfachlich macht das de facto wenig aus, weil der Wert der Hecke entscheidend für den Ausgleich ist. Für eine Gemeinderatsentscheidung oder die Bürgerschaft ist es aber ein wichtiger Aspekt.
- Es wurde vergessen, dass die Hecke bereits eine Ausgleichsmaßnahme darstellt: Inhaltich stellt sich dieser Punkt ähnlich dar, wie der lange nicht beachtete Biotopstatus. Mit Blick auf die Entscheidungsfindung ist das fragwürdig. Zusätzlich untergräbt eine vergessene Ausgleichsmaßnahme die Eingriffs-/Ausgleichsbilanz und das Vertrauen in den Planungsträger. Wer sich weiterhin fragt, warum wir dringend das Ausgleichkataster brauchen, das im Biodiversitätsstärkungsgesetzt verankert ist, sollte sich diesen Fall nochmals anschauen.
- Randeffekte hätten minimiert werden können, wenn eine Pufferzone ohne Bebauung realisiert worden wäre. So reicht die Bebauung sehr weit an den Teich und die geschützten FFH-Flächen heran. Es ist davon auszugehen, dass negative Auswirkungen durch beispielsweise Hunde, Katzen, Lärm- und Lichtemissionen die Lebensraumqualität verschlechtern.
24 Kammmolche und moderne Planungsansätze
Zwischen dem 9. März und dem 9. April wurde die verbliebende Hecke im Umfeld des Teichs täglich begangen und untersucht. Es wurden dabei 7 Berg- und 24 Kammmolche gefunden. Wie viele Tiere im Teil der Hecke, die zu diesem Zeitpunkt per Ausnahmegenehmigung bereits entfernt war, verletzt und getötet worden sind, kann nur spekuliert werden. Es ist leider bezeichnend, dass große Teile der Hecke entfernt wurden, bevor überhaupt klar war, wie viele Kammmolche und andere Tiere ihren Lebensraum darin haben. Unklar ist auch, ob und wie gut die Ausgleichsmaßnahmen funktionieren.
Eine moderne Stadtplanung muss transparent sein und auf Beteiligung auf Augenhöhe basieren. Sie sollte sich darüber Gedanken machen, wie sie den Bedarf an Wohnraum und Gewerbeflächen auf bereits versiegelten Flächen umsetzen kann und unversiegelte Flächen und Biotope schützt. Das Instrument der Ausnahme sollte nur im alleräußersten Notfall angewendet und nicht – wie schon lange zu beobachten ist – zum Regelfall werden.