Insekten brauchen Raum und Zeit
In den letzten Jahrzehnten haben wir laut Krefeldstudie rund 80 Prozent der Insektenbiomasse verloren. Insekten sind entscheidend für unsere Ökosysteme und Nahrungsnetze.
In Mitteleuropa sind artenreiche Mischwälder und das menschgemachte artenreiche Offenland Hotspots der Biodiversität. Viele artenreiche Offenlandlebensräume sind durch die menschliche Nutzung entstanden. Unser Nutzungsverhalten hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark verändert. Wir haben Flächen aus Effizienzgründen zusammengelegt, haben die Landnutzung technisiert und verstärkt auf Dünge- und Spritzmittel gesetzt. Viele Arten sind deswegen verschwunden.
Der Schutz von vielen Insektenarten ist relativ einfach. Sie brauchen Raum und Zeit. Sie brauchen blühende Wiesenflächen und Offenlandschaften mit Hecken oder Streuobstbäumen, auf denen sie ihren Entwicklungszyklus vom juvenilen zum adulten Tier durchlaufen und sich fortpflanzen können. Blühende Wiesen entstehen, wenn man Wiesen ein- bis zweimal pro Jahr mäht und das abgemähte Pflanzenmaterial abträgt. Wichtig ist, dass die Wiesenflächen abschnittsweise gemäht werden und Teile als Altgrasstreifen über den Winter stehen gelassen werden.
Die Frage ist nicht, wo können wir Wiese herstellen, sondern wo brauchen wir zwingend Rasen? Überall dort, wo wir keinen Rasen brauchen, sollten wir Wiese haben. (In Anlehnung an Dr. Philipp Unterweger von Dr. Unterweger Biodiversitätsplanung). Unterweger schlägt eine Kategorisierung in 3 Raumtypen vor:
- Raum A/benötigte Rasenflächen: Liegewiesen und Sportplätze erfüllen ihren Zweck nur, wenn sie gepflegte Rasenflächen sind. Wie groß die Flächen sein müssen, wird im Einzelfall entschieden.
- Raum B/aus Langeweile und Ideenlosigkeit gemähte Rasenflächen: Viele kommunale Flächen fallen in diese Kategorie. Die Flächen befinden sich beispielsweise entlang von Wegen, oder liegen als Kleinflächen vor. Insgesamt stellen die Kategorie B ein riesiges Potenzial für den Insektenschutz dar.
- Raum C/gut gepflegte Wiesen: Teilweise schon/noch vorhanden.
Viele Insekten können natürlicherweise/evolutionsbedingt mit hohen Verlusten umgehen. Die menschliche Nutzung überfordert diese Strategie allerdings zunehmend. Unterweger teilt die Schädigung bei der Grünlandpflege in 3 Letalitätsbereiche ein:
- Durch die Mahd: Tiere werden direkt getötet oder verletzt. Schnittempfindliche Pflanzen können verschwinden.
- Nach der Mahd: Flächen werden verdichtet, Samen und Tiere werden entfernt, Tiere sind plötzlich ohne Schattenplätze und vertrocknen, Schutzräume fehlen und Räuber machen leichte Beute.
- Durch Unterlassen: Viele Wiesenarten sind eigentlich Weidearten. Sie brauchen eine extensive Beweidung und gehen verloren, wenn Flächen gemäht/gemulcht werden.
Unabhängig vom Mähsystem sterben durch den Eingriff viele Individuen. Wie sich das auf die Population auswirkt, hängt vom Mahdsystem ab. Auf vielen (rund 90 %) der Flächen geht es darum, das Mahdsystem anzupassen, die Pflanzenzusammensetzung zu verbessern und ein attraktives Erscheinungsbild herzustellen. Das ist einfach zu realisieren und oft sogar kostenneutral. Auf der anderen Seite gibt es rund 10 Prozent repräsentative Flächen, auf denen durch Neuanlage und Pflanzungen ein, so Unterweger, „botanisches Feuerwerk“ realisiert werden kann. Der (Kosten-)Aufwand ist hier deutlich höher.
Immer wieder haben Kommunen und Bauhöfe die Befürchtung, dass Wiesen als ungepflegter wahrgenommen werden und von der Bevölkerung abgelehnt werden. Wissenschaftliche Studien geben dazu relative klare Antworten:
- Ja, Rasen wird als etwas gepflegter gewertet als Wiese. ABER: Wenn man die Kriterien „Attraktivität“ und „Bereicherung für das Stadtbild“ bewerten lässt, schneiden Wiesen deutlich besser ab. Umweltbildung führt dabei zu einer noch besseren Bewertung von Wiesenflächen.
- Eine sehr große Mehrheit der Befragten (81 Prozent) wünscht sich mehr Wiesen. Davon sehen 63 Prozent keinen Veränderungsbedarf. Die Änderungswünsche der restlichen 37 Prozent haben eine weite Spannbreite und reichen von „totalem mähen“ bis zur „Vergrößerung der Fläche“. Dazwischen gab es Wünsche, dass Wege oder Aufenthaltsbereiche angelegt werden.
Der Schutz der Natur und Artenvielfalt stellt eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe dar. Oft geht es darum, den Wert der Natur zu erkennen und die Gesellschaft mitzunehmen. Die Natur braucht vor allem Raum und Zeit. Es liegt an uns, ob wir ihr Raum und Zeit geben, oder ob wir ihr diese beiden elementaren Entwicklungsbedingungen durch Aktionismus und Störungen, beispielsweise sehr häufige Mahd, nehmen.
Wir können durch gestalterisches Nichtstun in unseren Kommunen Artenhotspots schaffen. Gleichzeitig können wir die Arbeit der Bauhofmitarbeitenden und Landschaftspflegerinnen und -Pfleger aufwerten: Es geht nicht mehr darum, das Gras regelmäßig kurz zu halten, sondern darum, einen attraktiven Lebensraum zu gestalten.