BUND Regionalverband Nordschwarzwald

Lutz Fähser in der BUND-Waldgruppe Nordschwarzwald

Der Wald ist Rückzugs- und Lebensraum, Rohstofflieferant, Wasserspeicher, Kohlenstoffsenke und vieles mehr. Der direkte und indirekte menschliche Einfluss bedroht dieses komplexe und empfindliche Ökosystem. Unsere Eingriffe haben dazu geführt, dass es in Deutschland keine Urwälder im Wortsinn mehr gibt und wir in den allermeisten Fällen von überprägten Forsten sprechen müssen. Forstnutzung und Klimawandel haben dazu geführt, dass wir die Wälder zunehmend überfordern und viele Bäume absterben. (Link: Waldzustandserhebungen der Länder)

Ökonomie und Ökologie müssen sich nicht ausschließen, so Lutz Fähser im Film „Lasst die Fichten liegen“. Vielmehr zeigt „Lübeck erfolgreich, dass naturnahes Wirtschaften eine WIN-WIN-Situation sein kann.“ „Lutz Fähser hat als Leitender Forstdirektor des Lübecker Stadtwaldes dort 1994 das Konzept der »Naturnahen Waldnutzung« eingeführt, war in zahlreichen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit und als Lehrbeauftragter an der Universität Kiel tätig und ist bis heute ehrenamtlich aktiv.“ (oekom Verlag) Gemeinsam mit Hans Dieter Knapp und Siegfried Klaus hat er das viel beachtete Buch „Der Holzweg – Wald im Widerstreit der Interessen“ (2021) herausgegeben. Für 22,99 Euro kann das Buch papierfrei über den oekom Verlag bezogen werden. (Link: Buch "Der Holzweg")

Die Gruppe Wald im Nordschwarzwald setzt sich auf regionaler Ebene für den Wald ein. Dafür ist eine Verknüpfung über die Landkreise des BUND-Regionalverbandes hinweg und ein Austausch mit den Menschen und Gruppen vor Ort erforderlich. Das Ziel ist, der naturnahen, artenreichen Waldentwicklung eine Stimme zu geben. Dies gilt insbesondere für die geschützten Waldbereiche (FFH-Wälder, geschützte Waldbiotope etc.) in der Region.

Video: Zeitgemäßer Umgang mit den Forsten

Wie sollten wir unseren Wald bewirtschaften? Dr. Lutz Fähser: Zeitgemäßer Umgang mit den Forsten  (Patrick Maier / BUND-Nordschwarzwald)

Was bedeutet ein zeitgemäßer Umgang mit dem Wald? Warum müssen sich Ökonomie und Ökologie nicht ausschließen? Und wie könnte unser Wald großflächig aussehen, wenn wir nach dem Fazit von Lutz Fähser aggieren würden: „Wir müssen als Menschen so leben und wirtschaften, dass wir uns in den Naturhaushalt einfügen, dass wir die Naturgesetze akzeptieren. Dass wir also eine Menschheit sind, die sich ethisch als Teil der Natur empfindet und nicht die Natur substituieren will.“

Den Link zum Vortrag finden Sie hier: Zeitgemäßer Umgang mit den Forsten

Frage- und Antwortrunde

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Waldnaturschutz in den Mühlen von Politik und Verwaltung. Wie erreichen wir einen Wandel?

Wir erleben vor Ort oft, dass die Waldnaturschutz-Arbeit mit vielen Kommunen oder Försterinnen/Förstern anstrengend und wenig zielführend ist. Wie können wir auf Ministerialebene, der forstlichen Versuchsanstalt (FVA) oder der Obere Forstbehörde Fehlentwicklungen mit Blick auf den Arten- und Klimaschutz korrigieren? Wie können wir diese Inhalte dann auf eine regionale Ebene bringen?

Lutz Fähser: „Die Entscheidung zu einem anderen System ist eine (fach-)politische Angelegenheit. In Baden-Württemberg trägt damit das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) die Verantwortung. Leider haben wir hier seit längerem ein Führungsproblem. Im Kommunalwald liegt die Hoheit beim Gemeinderat. Das heißt, es gibt hier den passenden Ansatzpunkt. Erster Schritt: Neue Ziele in die Gemeinden einbringen.

Kommunaler Wald ist mehr als eine Finanzspritze. Was bedeutet Daseinsvorsorge?

Wald ist in Kommunen oft ein Wirtschaftsfaktor. Der Gewinn wird beispielsweise für die Finanzierung von Kindergärten investiert. Welchen Weg kann man als Gemeinderatsmitglied gehen, um das Thema Wirtschaftlichkeit neu zu denken?

Lutz Fähser: „Öffentliche Betriebe haben primär die Daseinsvorsorge zu beachten. Es geht nicht vorrangig darum, monetäre Überschüsse zu erwirtschaften. Das Lübecker Waldkonzept beweist, dass der Gewinn durch diese ökologische Bewirtschaftungsweise gesteigert werden kann und monetär besser ist als die anderen Wirtschaftswälder. Die Aussage wurde wissenschaftlich quantifiziert und kann gerne im Rahmen einer Exkursion nach Lübeck überprüft werden.“

Erschwert der Status quo einen Systemwechsel zu mehr Nachhaltigkeit?

Erfahrungsgemäß tun sich Verwaltungen, Gemeinderäte und Forst schwer mit Veränderungen. Wie erreichen wir einen offenen Dialog, der auch die Idee eines Systemwechsels beinhaltet? Gibt es eine Auftakt-Frage, die nicht so einfach zurückgewiesen werden kann und zu einer Diskussion führt?

Lutz Fähser: „Es gibt diverse Studien, die belegen, dass wir Menschen uns, beruflich wie privat, im Status quo wohl fühlen. Es ist ein psychologisches System, das nur schwer in einer Sitzung gelöst werden kann. Wenn Klimawandel und Absterben heimischer Bäume anerkennt werden, müssen wir die Frage nach dem Überleben stellen. Eine zweite Möglichkeit basiert darauf, dass man die monetären Aspekte hinterfragt. Es kann eine Referenzwaldfläche von 10 Prozent angeregt werden. In dieser Nullfläche soll keine Bewirtschaftung stattfinden. Die Ergebnisse können dann in den Folgejahren miteinander verglichen werden. Ein positiver Nebeneffekt für die Kommune ist, dass diese nichtbewirtschaftete Fläche wahrscheinlich sogar subventioniert werden kann. Wichtig ist, dass im Lübecker Modell durchschnittliche repräsentative Flächen als Lernflächen aus der Nutzung genommen werden. Dies widerspricht dem klassischen Ansatz, nach dem ökologisch hochwertige Flächen aus der Nutzung genommen werden.“

CO2-Senke Wald als Wirtschaftsmodell: Geld fürs Nichtstun?

Wie kann man die Kommunen überzeugen, eine nachhaltigere Nutzung anzustreben? Gibt es Zahlen für das Lübecker Modell, wie viel (mehr) CO2 in so einem Wald gespeichert wird?

Lutz Fähser: „Eine Tonne CO2 wird in etwa in einem Kubikmeter (m3) Holz gebunden. In einem durchschnittlichen Wald kann man einfachheitshalber von einem Zuwachs von 10 m3 Holzzuwachs pro ha und Jahr ausgehen. Der Einschlag orientiert sich in vielen Fällen am Zuwachs. Das heißt: Die Forstverwaltung versucht den Wald in einem künstlichen Gleichgewicht zu halten. Dieses Ziel spiegelt sich seit Jahrhunderten auch im Nachhaltigkeitsbegriff des Forsts wider. Wenn man nur noch 5 m3 pro ha erntet, anstatt 10 m³ werden pro Jahr 5 m³ CO2 abgesenkt und können vergütet werden. Das könnte direkt in die Bilanz mit eingehen. Die jungen neuen Wälder können für die nächsten 30 Jahre nur wenig CO2 absenken. Wir sollten deshalb in den bestehenden naturnahen Wäldern jetzt weniger einschlagen, dadurch viel CO2 absenken und daraus den Kohlenstoff speichern. Mit Blick auf die Rolle von Holz als Substitut für Beton oder Stahl gilt:  Viele Vergleichsberechnungen sind veraltet und stimmen nicht mehr.“

Holz als wertvoller und regionaler Rohstoff?

Auch naturverbundene Gemeinderätinnen und -räte argumentieren mit Holz als Rohstoff. Wie können wir den Holzbedarf reduzieren und wie können wir das Holz regional nutzen/behalten und dafür Sorge tragen, dass es nicht in die ganze Welt verschickt wird?

Lutz Fähser: „Aktuell haben wir viel (Fichten-)Holz auf dem Markt. Vieles wird in andere Länder verkauft, zum Beispiel nach China und in die USA, weil dort höhere Preise gezahlt wurden und Gewinnmitnahmen erwirtschaftet werden. Um das zu verändern und zu minimieren, gibt es die Möglichkeit, Holz oder Wald zertifizieren zu lassen. In Lübeck wird Holz beispielsweise regional gestaffelt an zertifizierte Betriebe verkauft. Man kann also als Gemeinderat eine vertragliche Situation schaffen, in der die Regionalität gestärkt wird.“ Mehr dazu finden Sie unter Top 2, Punkt 9, Seite 7 der Sonder-Agraministerkonferenz vom 16.5.2022.

Waldschäden werden oft von der Allgemeinheit getragen. Natur und Angestellte leiden darunter. Muss das sein?

Der ökonomische Aspekt beim Lübecker Model basiert darauf, dass der Output im Wald nicht über die natürliche Produktivität hinaus gesteigert, der Input (also der Aufwand) aber deutlich reduziert werden kann. Wird das Argument der Rentabilität nicht dadurch abgeschwächt, dass teure Maschinen ja bereits vorhanden sind und damit nicht mehr extra kalkuliert werden müssen?

Lutz Fähser: „Große Lohnunternehmer setzen große Maschinen mit Lohn-Dumping-Preisen ein. Diese Strategie basiert aber auf einem privatwirtschaftlichen Ansatz. Schäden an Boden und Bestand werden externalisiert und werden nicht gedeckt. Das zerstört den Wald. Im Lübecker Wald werden negative Einflüsse auf den Wald sehr stark runtergefahren. Es wird beispielsweise mit eigenen Mitarbeitenden und ohne Harvester gearbeitet. Ziel im Lübecker Wald ist es, sehr hochwertige Produkte ohne große Schädigung des Ökosystems zu produzieren.“

Funktioniert das Lübecker Modell auch im Nordschwarzwald, oder ganz wo anders?

Wir haben örtliche Unterschiede zu beachten. Im Bereich Nordschwarzwald haben wir einen größeren Anteil von Nadelbäumen und damit keinen standorttypischen Bestand wie im Lübecker Wald. Die Nadelbäume gewinnen mit dem Alter nicht an Wert, sondern verlieren ihn tendenziell. Die Klimazonen-Prognose der FVA deutet darauf hin, dass wir in Zukunft eine neue Klimazone haben werden. Forstwirtschaftlich beobachten wir mit Blick auf die Kahlschläge und die Borkenkäferflächen ein Zwischenmodell zwischen Mitteldeutschland (beispielsweise Harz und Hessen) und dem Lübecker Wald, der sehr stabil über die Trockenjahre gekommen ist. Leider beobachten wir aktuell eine Art Goldgräberstimmung mit dem Ziel, so viel Holz wie möglich zu nutzen, bevor es kaputt geht.

Lutz Fähser: „Das Modell ist mit allgemeinen Prinzipien definiert, wurde dann in Lübeck an die vorherrschenden Verhältnisse angepasst. Letztendlich gibt es nur 3 Leitgedanken: Naturnähe, Suffizienz und Minimierung der Eingriffe. Nach diesen Aspekten kann auch im Nordschwarzwald eine standortangepasste Lösung erarbeitet werden. Die Modelle der FVA sind hilfreich, sollten aber als das gesehen werden, was sie sind: Szenarien, bei der wir nicht alle Faktoren kennen. Wir haben uns als Mensch immer wieder geirrt. Wir wissen nicht genau, wie Arten und Natur sich entwickeln. Wir sollten viel mehr auf die Kraft der Natur vertrauen und darauf, dass es seit 300 Millionen Jahre Anpassungsprozesse der Waldnatur gibt, die wir nicht absehen können. Mein Credo ist deshalb: Gebt der Natur die Chance, sich anzupassen.“

Wie erreichen wir, dass FFH-Managementpläne eingehalten werden?

In FFH-Wäldern (Fauna-Flora-Habitat-Wälder) gibt es bestimmte Zielarten, beispielsweise Fledermäuse, und Ziellebensräum. Sie sollen über ein Management-Ansatz geschützt und gestärkt werden. Leider beobachten wir immer wieder, dass der Forst sich nicht an diese Managementpläne hält, oder diese sogar missachtet. Wie erreichen wir, dass der Forst sich an die Zielvorgaben hält? Wie erreichen wir den Staatsforst (ForstBW) am besten und wie können wir konkrete Antworten von ihm bekommen? Wie geht man mit dem Problem um, dass ForstBW die Kommunen berät und damit auch die Kommunen sich immer wieder nicht an die Managementpläne halten? Wie können wir über die Gemeinden ein gutes Beispiel für eine naturnahe Bewirtschaftung erreichen? Würden Sie auch zu uns kommen und einen Vortrag halten?

Lutz Fähser: "Die Diskussion um Natura2000-Wälder ist stark in den juristischen Fokus gerückt worden. Durch eine Zitierung der Rechtsprechung kann eine weitere Sensibilisierung erreicht werden. Es gibt eine ganz aktuelle Veröffentlichung der Forstchefkonferenz (FCK) der Länder und der LANA, die eine bessere Abstimmung von Natura 2000-Managementplänen und Forstplanung verspricht. (Link: Gemeinsame Empfehlungen der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaften Naturschutz, Landschaftspflege und Erholung (LANA) und Forst (FCK): Konsequenzen des Beschlusses des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Verträglichkeit forstwirtschaftlicher Maßnahmen in Natura 2000-Gebieten) Um auf Gemeindeebene den Naturschutz zu stärken, braucht es eine gute Kommunalführung und/oder eine politische Mehrheit im Gemeinderat. Das Problem mit einer staatlichen Beratung besteht darin, dass sie zwar relativ günstig ist, aber oft nicht speziell auf die Gemeindebedürfnisse angepasst wird. Das heißt, die Kommune könnte eigene Stellen aufbauen, Ziele definieren und überprüfen. Zumindest sollte die Kommune dem Staatsforst darstellen, was sie möchte.“ Ein Besuch und Input durch Lutz Fähser ist im Prinzip möglich. Mit Blick auf die Distanz sollte der Besuch aber mit weiteren verbunden werden können.

Brauchen wir Kahlschläge für Lichtbaumarten?

Wie gehen wir damit um, das die Eichen zwar als Zukunftsbäume des Klimawandels gelten, als Lichtbaumart aber Kahlschläge nach sich ziehen?

Lutz Fähser: „Wir wissen nicht ganz genau wie es weitergeht. Die Eiche gilt als Favorit-Baumart im Klimawandel. Sie hat aber Probleme bei ihrer Verjüngung und mit dem Wilddruck. Aktuell stehen Eichen häufig auf Buchenstandorten, weil sie dorthin gepflanzt oder eingebracht wurde. Standorttypisch wächst sie auf trockenen und sonnigen Lagen, weil sie dort konkurrenzstärker ist. Die Wälder verändern sich aber. Fichten fallen beispielsweise aus und es entstehen lichte Flächen für die Eiche. Das heißt: Wenn die Prognosen zutreffen, haben wir genügend Flächen, die für die Eiche passend sind. Wir sollten also nicht extra den Waldboden öffnen und der Trockenheit aussetzten, sondern alles dafür tun, dass der Boden weitgehend bedeckt, kühl und feucht bleibt.“

Können Natur und Klima durch Ökopunkte geschützt werden?

Die Verknüpfung von Waldrefugien mit Ökopunkten ist schwierig, weil dadurch immer wieder auch Umweltzerstörungen an anderer Stelle kompensiert werden.

Lutz Fähser: „Wir müssen davon ausgehen, dass die Notwendigkeit, CO2 zu reduzieren, groß werden wird. Dieser Druck wird sich monetär darstellen lassen und kann dazu führen, dass Waldbesitzende Geld bekommen, wenn sie die Bäume stehen lassen. Tatsächlich ist das Instrument von Ökopunkten oder CO2-Emissionszertifikaten insofern kritisch anzusehen, als es nicht wirklich die absolute Menge CO2 in der Luft reduziert, sondern Emittenten an anderer Stelle erlaubt, weiterhin CO2 auszustoßen.

Welche wirtschaftlichen Stellschrauben gibt es im Wald?

Wie argumentiert man mit Blick auf die Wirtschaftlichkeitsziele des Waldes?

Lutz Fähser: „Wirtschaftlichkeit und Überschuss sind in öffentlichen Betrieben nicht das oberste Ziel. Das oberste Ziel ist die Daseinsvorsorge. Überschusserwirtschaftung ist für öffentliche Betriebe als Ziel rechtlich sogar fraglich. Wirtschaftliche Optimierung findet in der Urproduktion am besten durch Minimierung des Inputs statt und nicht durch Optimierung des Outputs, da dieser den Naturgesetzen unterworfen und nicht steigerbar ist. Es gibt Quasi-Fixe Größen, die Holzproduktion im Wald liegt pro Jahr bei max. 2,5 % des Baumbestandes, die Preise sind international und auch fix. Die Schrauben der Wirtschaftlichkeit liegen im variablen Bereich wie Eingriffe (Konventionell: Eingriffe 10 bis 20 pro 100 Jahre, Lübeck aber nur 3), Produktwert, Risikokosten (naturnahe Wälder wollen sich selbst stabil halten, das ist die Idee des Waldes)“

Haben wir wirklich so viel Holz (stehende Holzmasse) im Wald?

Wie argumentiert man, wenn der Forst angibt, dass wir so viel stehende Holzmasse wie seit Jahrhunderten nicht mehr haben?

Lutz Fähser: „Unsere Wälder sind eigentlich magersüchtig. Wenn wir unsere Wälder mit Urwäldern (es gibt noch wenige in Osteuropa) vergleichen, stellen wir fest, dass wir fast doppelt so viel Biomasse im Wald bräuchten.“

Definitionsfrage: Was sind Dauerwälder und was sind Plenterwälder?

Es gibt einen regen naturschutzfachlichen Austausch über die Ziele einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung. Ein Knackpunkt stellt dabei die Dauerwaldbewirtschaftung dar. In Baden-Württemberg werden Dauerwald und Plenterwald oft annähernd synonym verwendet. Durch Einzelbaumentnahmen soll der Wald wenig geschädigt werden und kontinuierlich Holz liefern. Größere Zerfallsphasen gibt es darin nicht.  (Waldwissen.net oder waldbau-sylviculture.ch) Im Buch „Der Holzweg“ wird für den Wirtschaftswald eine Dauerwaldbewirtschaftung vergleichbar mit dem Lübecker Forst propagiert. Gibt es in diesem Dauerwald-Begriff Absterbe- und Zerfallsstadien?

Lutz Fähser: „Dauerwälder sind solche, die sich in naturnaher Weise selbständig weiterentwickeln beziehungsweise durch Bewirtschaftung nicht daran gehindert werden. Sie enthalten alle Alter und Baumarten, die von Natur aus hier vorkämen. Die Ernte der Bäume erfolgt nur über einzelne meist alte und marktfähige Bäume. Ein gewisser Anteil des Waldes darf naturgemäß als Habitatbäume, Totholz und Prozessschutzflächen alle Stadien bis zum Zerfall durchlaufen (in Lübeck zusammen etwa 30 %).

Plenterwälder sind in unterschiedlicher Weise definiert:
1. als Wälder, die auf engstem Raume junge und ältere Bäume tragen und zum Erhalt der jungen
Bäume (Verjüngung) laufend aufgelichtet werden müssen. Sie haben deshalb einen sehr geringen Baumvorrat von etwa 250 bis 300 m³/ha (Durchschnitt BRD = 350 m³, Bestand Lübeck = 480 m³)
2. Solche Wälder, bei denen die Ernte nur einzelstammweise hier und da erfolgt. Hier wird die Art der Entnahme bezeichnet.

In den europäischen Buchenurwäldern (Rumänien, Ukraine) findet man die Plenterstruktur nur auf etwa 3 bis 5 % der Flächen.“

Wie kommen wir vom Ramsch- zum Wertholz?

Der Lübecker Wald geht es um hochwertige Holznutzung/Einzelbaumnutzung. Wie bedienen wir den Ramschholzmarkt fürs Toilettenpapier und Billig-Möbel, oder Hackschnitzel für „klimaneutrale“ Verbrennung, oder besser: wie überwinden wir den Ramschholzmarkt?

Lutz Fähser: „Für niederwertige Produkte aus Holz muss vorrangig Restholz aus der höherwertigen Verwertung und durch Recycling von gebrauchtem Holz genutzt werden. Auch sollten Holzfirmen nur noch nach höherwertigen Zertifikaten wie Naturland (Lübeck Konzept) und FSC produzieren. Die thermische Verwendung von Holz sollte allein wegen der CO2-Entstehung erschwert und verteuert werden. Insgesamt ist auch hier Suffizienz, also sparsame Verwendung, die beste Strategie.“

Rechtfertigt der Schutz globaler Wälder stärke Einschläge bei uns?

In der politischen und forstlichen Diskussion werden stärkere Einschläge bei uns oft damit relativiert. Es heißt: Ohne diese Einschläge müsste mehr Holz aus anderen Teilen der Welt importiert werden. Weiterhin wird angenommen, dass die Eingriffe dort wahrscheinlich sehr viel schädlicher durchgeführt werden.  Wie argumentiert man darauf, dass wir Holz brauchen/wollen und Eingriffe und Schäden nicht auf andere Wälder in Europa/der Welt ausgelagert werden sollen?

Lutz Fähser: "Wir Deutschen verbrauchen 1,2 m³ Holz pro Person und Jahr, der Weltdurchschnitt beträgt 0,5 m³. Wir verheizen etwa die Hälfte davon. Es müssen der Verbrauch für kurzlebige Produkte wie Papier und für CO2-erzeugendes Brennholz drastisch reduziert werden. Außerdem müssen Holzprodukte weiterverwendet und recycelt werden. Die EU hat einen Holzversorgungsgrad von 120 %, muss also gar kein Holz einführen. Die Importe und Exporte dienen im Wesentlichen der Gewinnerzielung von Handel und Produktion durch niedrigere Löhne und höhere Endpreise in den verschiedenen Ländern. Die Holznutzung darf sich nicht nach dem Bedürfnis von Produzenten und Konsumenten richten, sondern nach den ökologisch nachhaltig lieferbaren Mengen und Qualitäten."

Dokumentation und Dokumente

Die Ergebnisse der Diskussion finden Sie als Zusammenfassung hier: Ergebnisdokumentation

Hintergründe zum Lübecker Konzept finden Sie hier: Karl-Friedrich Weber, 30. Waldbrief vom 27.03.2021: Das Lübecker Konzept der „Naturnahen Waldnutzung“ – Ökonomie durch Ökologie

Ziele zur Reduktion des Holzverbrauchs und zur regionalen Holznutzung finden Sie hier unter Top 2, Punkt 9, Seite 7: Sonder-Agraministerkonferenz vom 16.5.2022

Es gibt eine aktuelle Veröffentlichung der Forstchefkonferenz (FCK) der Länder und der LANA, die eine bessere Abstimmung von Natura 2000-Managementplänen und Forstplanung verspricht. Das Dokument finden Sie hier: Konsequenzen des Beschlusses des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Verträglichkeit forstwirtschaftlicher Maßnahmen in Natura 2000-Gebieten

Spannende Beiträge zum Lübecker Wald und zu Lutz Fähser

Interview: "Naturwald bewahren" vom 22.03.2022: BUND-Experte Dr. Lutz Fähser beschreibt die Probleme, vor denen Wälder stehen.

Interview: "Unsere Wälder schützen" mit Lutz Fähser vom 05.05.2020: Unsere Wälder leiden unter der Hitze. Mit dem Klimawandel wird das zunehmend. Naturnahe Forstwirtschaft wäre die ideale Lösung. Der leitende Forstdirektor a. D. Lutz Fähser weiß, wie das geht. Er kritisiert Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner.

Doku: ZDFheute "Waldsterben 2.0" vom 02.06.2021: Schonen oder bewirtschaften – Wie kommen Deutschlands Wälder aus der Krise? Das diskutiert der ehemalige Forstdirektor Lutz Fähser mit Bayerns Wirtschaftsminister und Waldbesitzer Hubert Aiwanger bei ZDFheute live. Außerdem blicken wir mit der nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser auf die Ergebnisse des zweiten nationalen Waldgipfels. Stellt eure Fragen und diskutiert mit!

Doku: SWR "Wald in Not. Was hilft dem grünen Patienten?" vom 09.09.2020:  Was wäre, wenn sich große Teile der baumreichen Regionen im Südwesten zwischen Hunsrück und Schwarzwald in einigen Jahrzehnten in öde Brachen und Steppen verwandeln würden? Das "Wald-Untergangsszenario" ist inzwischen leider nicht nur Horrorvision, sondern eine höchst beunruhigende Möglichkeit. Den Extremwetterlagen von langen Dürreperioden, Stürmen und Starkregen, die der fortschreitende Klimawandel mit sich bringt, ist der Wald im wahrsten Sinne nicht gewachsen. Es muss etwas geschehen. Aber was? Kai Diezemann und Manfred Ladwig gehen der Frage nach: Was hilft dem grünen Patienten? Wie könnte er aussehen, der Wald der Zukunft?

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