„Hallo ich bin Urs. Franziska verspätet sich leider. Sie ist schon seit einigen Stunden von Stuttgart unterwegs und eigentlich hätte ich sie am Bahnhof in Baiersbronn abholen sollen.“ So richtig gut funktioniert der ÖPNV im ländlichen Raum nicht, das erlebe ich auch immer wieder. Dabei wäre es gerade heute, wo es um den Klimawandel gehen soll, ein schönes Zeichen gewesen, wenn die Anreise von der Stadt aufs Land reibungslos geklappt hätte.
Wir haben Glück und sind die erste Gruppe, die seit längerer Corona-Pause wieder an einer Führung teilnehmen kann. Franziska Janke, Projektleiterin des Dialogforum Erneuerbare Energien und Naturschutz von BUND und NABU und Urs Reif, Referent im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg und Mitarbeiter im Nationalpark Schwarzwald haben eine gemeinsame Exkursion zum Klimawandel, Artenschutz und zum Ausbau erneuerbarer Energien auf die Beine gestellt.
Im Nordschwarzwald ist der Klimawandel wie überall deutlich zu sehen. Im Winter gibt es zum Beispiel deutlich weniger Frosttage. Der Trend wird sich noch verstärken. Die zweite gravierende Veränderung zeigt sich in der Zunahme der Dauer von Großwetterlagen. Es kommt immer häufiger vor, dass es mehrere Wochen regnet oder dass die Sonne beinahe ununterbrochen scheint. Überflutungen oder Trockenheit sind die Folgen.
Nicht nur im Schwarzwald verändert sich das Klima. Bei globaler Betrachtung stellen wir fest, dass die Veränderung nicht überall auf der Erde gleich und vor allem nicht gleichmäßig verläuft. Rund um die Polargebiete haben wir die größten Temperaturzunahmen, im Bereich der Tropen fallen dafür plötzlich Gebiete trocken, die bisher als Regenwald galten. Überall nehmen wir sogenannte Tipping-Points, also Wendepunkte wahr. Wird solch ein Tipping-Points überschritten, ändert sich der Zustand praktisch schlagartig und, so die Prognosen, mit Auswirkungen auf das komplette System. Wenn beispielsweise die Gletscher und Eismassen im Nordpolargebiet weiter abschmelzen, kann durch das Süßwasser des geschmolzenen Eises der Golfstrom gestört werden. Die Folgen würden dann von einer Schwächung des Stroms bis zu einem neuen Verlauf reichen.
Neben dem Klimawandel, so Urs Reif, macht uns auch das Artensterben Sorgen. Eindeutig dargestellt wird das in der Studie der Planetaren Grenzen, die erstmals 2009 veröffentlicht wurde. 2015 kann dann gezeigt werden, dass bei der Biosphäre der sichere Handlungsbereich bereits überschritten wurde und dass schwerwiegende Folgen drohen. (Steffen et al. 2015) Letztes Jahr, also 2019, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gezeigt, dass sich die Veränderungen nicht nur aufsummieren, sondern auch gegenseitig verstärken können.
Wir sind am Mummelsee auf rund 1.000 m ü NN gestartet. Der Mummelsee ist der größte Karsee des Nordschwarzwaldes und ein Überbleibsel der Eiszeit. Nach ungefähr 150 m Aufstieg erstreckt sich eine große Freifläche vor uns. Der Grindenweg schlängelt sich auf Holzpfählen durch das Hochmoor. Wir sehen den Turm und die Windenergieanlage der Hornisgrinde. Die neue 120 Meter hohe Anlage ersetzt die 3 alten Anlagen von 1994 mit je 35 Metern. Es werden nun 2,3 Megawatt anstatt 350 Kilowatt produziert. Die Leistung hat sich damit mehr als 6-mal höher. Ein schöner Ort um über Natur und die Nutzung regenerativer Energiequellen zu diskutieren.
Franziska erklärt: „Das Dialogforum Erneuerbare Energien und Naturschutz [siehe: www.dialogforum-energie-natur.de] unterstützt seit 2012 eine naturverträgliche Energiewende – speziell den Ausbau der Windenergie, der Freiflächenphotovoltaik und der Stromverteilnetze. Der Klimaschutz und der Schutz der Biologischen Vielfalt sind dabei für uns gleichrangige Ziele. Um Konflikten zwischen dem Ausbau der Erneuerbaren Energien und dem Naturschutz vorzubeugen, informiert und berät das Dialogforum und vermittelt bei der Umsetzung konkreter Vorhaben. Dabei setzen wir uns besonders für die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ein. Das Dialogforum ist ein gemeinsames Projekt von BUND und NABU und wird vom Umweltministerium Baden-Württemberg gefördert. Unsere Klimaziele können wir nur erreichen, wenn wir die Energiewende schaffen. Stand heute haben Wind- und Sonnenenergie das größte Potenzial. Andere Möglichkeiten wie Wasserkraft oder Biomasse sind größtenteils ausgeschöpft. Geothermie, insbesondere die Tiefengeothermie, hat zwar ein großes Potenzial, wird aber aktuell relativ wenig genutzt.
In Baden-Württemberg weisen die Höhenlagen des Nord- und Südschwarzwalds die besten Windverhältnisse auf. In den Kammlagen im Nordschwarzwald werden auf 140 Meter über Grund mittlere Windgeschwindigkeiten von rund 7 bis 8 Meter pro Sekunde gemessen. Insbesondere Anlagen mit hohen Nabenhöhen produzieren viel Energie.
Für verschiedene Fledermaus- und Vogelarten besteht ein Tötungsrisiko. In Relation gesetzt sind aber vor allem der Lebensraumverlust und andere Faktoren für einen Populationsrückgang innerhalb der Arten verantwortlich. In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass der Rotmilan eher verhungert, als dass er vom Windrad erschlagen wird. Im Schwarzwald spielt auch der Schutz des Auerhuhns eine große Rolle. Es soll unbedingt ausgeschlossen werden, dass die Auerhuhn-Population gestört wird. Leider gibt es mittlerweile so wenige Tiere, dass schon der Verlust eines Individuum Auswirkungen auf die Population im Nordschwarzwald haben kann.
Um das Risiko zu senken, setzen wir uns im Naturschutz für ein Maßnahmenpaket ein: Ökologisch sensible Flächen sollen freigehalten werden. Zu Nahrungs- und Brutstätten muss ein ausreichend großer Abstand zur Windenergieanlage bestehen. Wenn Vögel und Fledermäuse ziehen oder besonders aktiv sind, sollen die Anlagen abgeschaltet werden. Mit der Gestaltung attraktiver Flächen, sogenannten Ablenkflächen, sollen Vögel von den Anlagen weggelockt werden. Ob eine Anlage gebaut werden darf, wird immer als Einzelfallentscheidung getroffen und ist abhängig davon, ob geschützte Arten negativ beeinträchtigt werden und wie groß der Eingriff in die Natur ist. Tötung, Störung oder Beschädigung bestimmter Arten und deren Lebensräume müssen vermieden werden und für jeden Eingriff muss es einen Ausgleich geben.
Trotz des windstarken Standortes und schon einer vorhandenen Anlage wird es wohl in absehbarer Zeit eher keine weiteren Windräder auf dem Grinden-Plateau geben, da verschiedene Konflikte mit dem Artenschutz bestehen. Trotzdem gibt es weitere geeignete Standorte für Windenergieanlagen [siehe Windatlas: https://www.energieatlas-bw.de/wind/windatlas] im Schwarzwald und in ganz Baden-Württemberg.
Mein Rückblick als BUND-Geschäftsführer in der Region Nordschwarzwald: „Die Berge, die es zu versetzen gilt, sind in unserem Bewusstsein.“ (Reinhold Messner) Verglichen mit anderen Bergen, beispielsweise in den Alpen, ist die Hornisgrinde doch eher bescheiden – sie ist ja auch schon ein ganzes Stück älter als die Zugspitze. Der Schwarzwald ist aber doch hoch genug, um darüber nachzudenken, was Klimawandel und Artenschwund für zukünftige Generationen bedeuten werden und ob die Windenergieanlagen im eigenen Sichtfeld oder ein Tempolimit auf Autobahnen vielleicht doch nicht die schlimmsten aller Probleme sind.